Hätte ich es aussuchen dürfen, wäre sie mein Fohlen gewesen. Aber Julia hat sich für Ray entschieden… Warum Phianna nun doch bei uns im Stall steht, ist eine komplizierte Geschichte voller Wendungen im Leben eines kleinen Tinkers…
Phianna und Ray kommen etwa zur gleichen Zeit bei einer Züchterin auf dem wunderbaren Schrankenschneiderhof nahe München zur Welt. Es ist der 29. März 2020, als die kleine Phianna Silver die Sterne des bayerischen Nachthimmels erblickt.
Es folgen wunderbare Wochen für ein kleines Pferdemädchen. Viel Bewegung mit Mama auf großen Weiden und im Wald und viel Aufmerksamkeit durch die Familie der Züchterin. Etwas später kommen dann mit Ray und noch weiteren Fohlen ein paar Spielkameraden dazu.
Zu dieser Zeit war Julia auf der Suche nach einem Fohlen, einem Tinkerfohlen, genauer gesagt. Und nach langer Recherche hat sie sich dafür entschieden, dass es eines vom Schrankenschneiderhof sein soll. Welches stand noch nicht fest, also sind wir hingefahren, um die Kleinen persönlich kennen zu lernen. Schnell war klar, dass es Ray werden sollte… Ich hingegen hätte gerne Phianna mitgenommen.
Und hätte ich gewusst, was noch alles auf mich und die Kleine zukommen wird, hätte ich es sofort gemacht.
Nach und nach lernt die Kleine die wichtigsten Basics und entwickelt sich in den Sommermonaten zu einem bildhübschen, neugierigen, freundlichen und sehr angenehmen Tinkermädchen mit silberner Mähne und silbernem Schweif. Bei unseren Besuchen folgt sie uns auf Schritt und Tritt, und wir sind oft zusammen mit den Muttertieren und den anderen Fohlen im Walds unterwegs, damit die Kleinen sich austoben können.
Julia hat sich dann tatsächlich für den Kauf von Ray entschieden, und damit es war klar, dass „meine“ kleine Phianna nicht mit uns kommen wird. Auch wenn ich bis dahin „nie!“ ein Pferd hätte haben wollen, so war es doch seltsam komisch, wie sehr mich diese Entscheidung traurig gemacht hatte.
Wir waren bis zum Absetzen der Fohlen oft und regelmäßig auf dem Schrankenschneiderhof und haben diese Zeit genutzt, um die Fohlen besser kennenzulernen und uns auch im Umgang und den wichtigsten Grundlagen weiter zu bilden.
Und ehrlicherweise es waren es nicht nur die Fohlen, sondern auch die sehr schöne Sommertage, die wir dort verbringen konnten.
Bei einem unserer Besuche hatten wir dann die neue Besitzerin von Phianna kennen gelernt und von ihr erfahren, dass sie Phianna Ende Oktober in die Nähe von Stuttgart in einen Aufzuchtstall bringen wird. Doch bis dahin blieb ja zum Glück noch etwas Zeit…
Ein paar schöne Wochen später dann die Trennung. Am gleichen Tag, als wir Ray abgeholt hatten, verließ auch Phianna den Schrankenschneiderhof – nur 10 Minuten vor unserer Ankunft. Es war der 31. Oktober 2020, ein Tag mit gemischten Gefühlen und mit unbeständigem Wetter und einem kleinen, nervösen Tinkerhengst im Pferdehänger.
Wir hatten den Kontakt zu Phiannas neuer Besitzerin nie aufgegeben. Und auch zur Züchterin besteht nach wie vor eine tolle Verbindung. Und beides zusammen würde sich noch als Glücksfall erweisen…
Bei einem losen Telefonat hatten wir von der Züchterin erfahren, dass es wegen Corona und dem damit einhergehenden Lockdown mit seinen Geschäftsschließungen womöglich so weit kommen wird, dass Phianna zurück zum Schrankenschneiderhof kommen muss. Weil aber auch dort Corona tiefe Spuren in den Finanzen hinterlassen hat, wäre das nicht ohne größte Umstände möglich gewesen.
Nach diesem Telefonat vergingen zwei oder drei Wochen voller fliegender Gedanken. Was diese Pandemie anstellte, war und ist noch immer in höchstem Maße unfair. Und das unbestimmte Schicksal von Phianna ließ uns einfach nicht los. Also haben wir am Schrankenschneiderhof angerufen und uns für einen losen Besuch angekündigt. Und natürlich haben wir auch nach Phianna gefragt. Die Antwort klang sehr düster und eigentlich aussichtslos.
Auf der Heimfahrt ging es uns beiden nicht mehr aus dem Kopf. Ich weiß noch genau, wie mich Julia kurz vor der Autobahnabfahrt gefragt hatte, ob wir „spontan“ in Stuttgart anrufen sollen. Hatte schon die ganzen 2 Stunden Fahrt überlegt, das zu tun – aber mich irgendwie nicht getraut, danach zu fragen. Noch bevor das Telefon fertig gewählt hatte, waren wir auch schon ungebremst an der Abfahrt vorbeigerauscht – voller Hoffnung, aber ohne die Gewissheit, ob Phianna’s Besitzerin überhaupt rangeht. Und ob wir Phianna überhaupt besuchen kommen dürfen, wussten wir erst recht nicht…
Nach einem langen Telefonat und kurzer Restfahrzeit standen wir dann zusammen mit Phianna’s Besitzerin an einem Stall mit einer ganzen Horde junger Pferdchen auf dem Paddock – und mittendrin, fast schon die kleinste von allen, war Phianna.
Irgendwas hat in dem Moment „Klick“ gemacht und den Hauptschalter meines Gehirns ausgeknipst. Völliger Shutdown für die komplette Logikeinheit. Vielleicht waren es die Umstände, vielleicht der blitzartig hochkochende Wunsch, die Kleine aus diesem Gewusel zu befreien, vielleicht auch das ganze andere Wissen rund um das Tier, oder einfach nur das inzwischen erwachte Interesse für die Pferde. Hatte zu diesem Zeitpunkt schließlich schon eine Weile meinen Schwarzwälder und wusste daher, wie wertvoll es sein kann, Zeit mit meinen Tier zu verbringen.
Wir sind nach einiger Zeit dann wieder recht zerknittert ins Auto geklettert und nach Hause aufgebrochen. Noch keine 100 Meter weg vom Stall haben Julia und ich (also – eher ich) bereits mehr oder weniger beschlossen, die Kleine zu uns zu holen. Ich weiß bis heute nicht, warum uns beide das so umgeschmissen hat.
Am folgenden Tag brannte dann die Luft. Es war der 7. März 2021, und noch nie hatten wir für eine Sache so schnell so viel Unterstützung zusammen. Unser Stallbesitzer (dem der Stall gehört, in dem Phianna heute steht) sagte nur: Ja, dann bringt sie halt! Meine Schwester meinte ebenfalls nur: Musst Du selber wissen (hätte mit einem völlig entsetzten „spinnst DU?“ gerechnet). Die Reitbeteiligungen vom Julia’s Amiro haben Hilfe bei der Versorgung zugesichert und einige andere Einsteller waren ohne Diskussion bereit, Boxen und Paddocks zu tauschen, damit die Kleine neben den geeignetsten Pferden stehen kann. Und auch der Züchterin fiel ein Stein vom Herzen, als wir erzählen konnten, dass Phianna nun an die Donau umziehen wird.
Die nachfolgende Woche über haben dann Phianna’s Besitzerin und wir die Übergabe besprochen, und am darauffolgenden Samstag sollten wir das Tinkermädchen dann abholen.
Es war ein schwerer Tag. Und eine schwere Entscheidung, vor allem für Phianna’s Besitzerin. Und auch wir waren recht aufgewühlt, weil wir genau wussten, dass für eine junge Frau gerade ihr großer Traum zerplatzt.
Das Schicksal kann ein echtes A… sein…
Am 13. März 2021 bließ der Sturm den Regen fast schon quer über die Landschaft, als wir mit dem Pferdehänger nach Stuttgart losgefahren sind. Wir sind trotzdem unbeschadet in Stuttgart angekommen.
Wir haben uns dann noch eine kurze Weile mit Phiannas Besitzerin und der Stallbesitzerin unterhalten, damit sich Phianna noch ein wenig vom gerade ausgeteilten Heu holen konnte.
Nach kurzer Verabschiedung von den Anwesenden haben wir Phianna dann zum Hänger gebracht. Sie hat sich anschließend ganz brav verladen lassen…
Mit dem Schließen der Hängerklappe war’s dann vorbei mit freundlich. Wir durften eine recht „agile“ Tinkerdame erleben, die sich ihrem Unmut mit ziemlich kräftigen Tritten gegen die Bordwände Luft verschaffen wollte. Das hat sich nach ein paar Kilometern zum Glück beruhigt, und wir konnte deutlich entspannter nach Hause fahren.
Dort angekommen haben uns 15 Pferde mit einem großen und lauten Wieher-Konzert empfangen, ob wohl wir noch nicht mal auf das Hofgelände aufgefahren waren – wir waren noch gut 100 Meter weg davon… Die Kleine hat natürlich gleich mitgemacht.
Nach dem Einrangieren und dem Öffnen der Klappe stand eine kleine, zitternde Tinkerstute im Stroh des Anhängers und wusste erst mal gar nicht, wohin. Es dauerte ein paar Minuten bis sie bereit war, den ersten Schritt in ein neues Leben zu wagen.
Noch immer zitternd hat sie sich dann die Rampe heruntergetraut und erst mal groß geschaut.
Es hatte dann noch eine ganze Weile gedauert, bis Phianna in ihrer Box ankam. Herbert hatte ihr extra eine besonders dicke Strohlage reingeschaufelt und eine riesige Portion Heu geholt.
Die Ankunft von Phianna hatte sich inzwischen wie ein Lauffeuer durch WhatsApp gebrannt, denn in kürzester Zeit waren so ziemlich alle, die im oder mit dem Stall zu tun haben, „zufällig“ da, um „irgendwas“ zu erledigen. Bisher waren nur nie die Kinder dabei…? Hat mich jedenfalls sehr gefreut.
Die folgenden Stunden saß ich dann mit Phianna in der Box und habe sie erst mal vorsichtig und ausgiebig gebürstet, einige Knoten aus dem Fell geschnitten, ihre Puschel gesäubert und sie beruhigt. Es gab noch eine Schweif-Wäsche und saubere Hufe und anschließend einfach Ruhe.
Ich hatte mich dann neben sie ins Stroh gesetzt. Und irgendwann bin ich dann aufgewacht, weil neben mir ein mampfendes Fohlen lag. Es hatte zwei, vielleicht auch drei Stunden gedauert (mein Zeitgefühl war völlig weg), bis sie Vertrauen in den Frieden gefunden hatte. Und dann endlich was gefressen hat.
Weit nach Mitternacht bin ich aus der Box geklettert und nach Hause gefahren.
Inzwischen ist aus der Kleinen eine Große geworden, voll integriert in die Herde und mit vielen anderen Pferden befreundet. Sie hat sich wieder zu dem Tier zurück verwandelt, dass ich ich auf dem Schrankenschneiderhof kennen gelernt hatte und all die Aggressionen verloren, die sich sich in der großen Herde antrainieren musste. Ab und zu blitzt zwar noch der Dickkopf durch, aber damit kann ich sehr gut leben (und umgehen).
Schauen wir, was die Zukunft bringen wird.
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