Heute waren wir echt spät dran. Bis wir mit dem Stall fertig waren, merkte man schon die nahende Dämmerung. Ein Ausflug mit den beiden war also heute nicht mehr drin.
Damit wenigstens jeder ein bisschen Bewegung hat, hatte ich mir jeden einzeln geholt und bin einfach mal raus auf die Straße. Wollte sehen, ob es funktioniert, die beiden ganz kurz zu trennen.
Ferdinand war der erste Kandidat. Und er hat – kaum war das Zauntor zu – erst mal klar gemacht, dass er jetzt gerne zügige Bewegung hätte, wenn er schon vom Heu wegmusste. Also sind wir den Berg hochgetrabt (also das Pferd, ich muss da inzwischen ganz schön schnell laufen). Keine Spur vom Trennungsschmerz, bis auf einmal gut 300 Meter weiter eine unsichtbare Wand auf der Straße stand. So hart aus vollem Schwung gebremst zu werden ist ein wenig unfair, wenn man nur zwei statt vier Beine hat. Irgendwas machte meinem Pferd ein schlechtes Gewissen. Der dauerhafte Blick zurück Richtung Stall sagte es mir.
Nachdem ich einen halben Roman auf meine Statue am Strick eingeredet hatte, wurde er plötzlich wieder weich. Warum? Keine Ahnung. Ich weiß nicht, welches Schlüsselwort ich benutzt hatte, ich war aber doch überrascht. Als wäre nie was gewesen konnten wir den Weg in die kleine Waldrunde einschlagen – den kennt er schon sehr gut. Nach nur ein paar Minuten waren wir wieder raus aus dem Wald, weil mein kleiner Bergsteiger einen Affenzahn vorgelegt hatte. Auf einmal wollte man heim..? Die steigende Ungeduld am anderen Ende des Stricks sagte mir, dass es jetzt aber echt Zeit wird. Also Pferd einmal (ok, mehrmals) einbremsen, bis er endlich stehen blieb, ohne sofort wieder loszulaufen. Dann das Kommando zum schnellen Vorrücken…
Ja, gut, es ging bergab. Und das geht im Allgemeinen leichter als bergauf. Aber das Tempo, das wir beide aufgenommen hatten, war auch mir neu. Traben kann meine Fellmütze, von langsam bis sehr schnell. Ach so, ist ja auch ein Pferd, sollte mich nicht wundern. Mit zwei Beinen hat man’s aber doch sehr viel schwerer, dem Tempo zu folgen, zumal meine Beinlänge verglichen mit den Beinen meines Energiebündels zu kurz geraten ist. Irgendwie ging es dann doch.
Unser Stall kam durch unser Tempo schnell wieder in Sichtweite, und kaum hat Ferdinand den Stall gesehen, war auf einmal die ganze Dynamik weg. Offenbar war nun alles wieder in Ordnung, denn Ray stand mit Julia am Tor und warteten auf uns. Das eine Begrüßungswiehern hier und eins zurück und noch eins wieder runter zum Stall und eins zurück und… Irgendwann machen die beiden einen Pferdechor auf. Wird bestimmt ein voller Erfolg, so was gibt es noch nicht. Muss mir jetzt nur noch eine Zielgruppe für den Verkauf überlegen.
Die Welt war wieder völlig in Ordnung, als sich der Zaun hinter Ferdinand schloss und er wieder mit Ray zusammen war. Keine Spur mehr vom Trennungsschmerz, falls das überhaupt einer war. Also haben wir den gleichen Versuch auch mit Ray gestartet.
Strick und Halfter sind nicht so die Freunde von Ray, er ist ein kleiner unabhängiger Tinker. Aber wenn’s rausgehen soll, ist er immer vorne dabei. Heute eben mal ohne seinen Kumpel Ferdinand. War auch bei Ray kein Problem, sich vom Stall zu entfernen. Runter den Weg und um die Weide herum bis kurz vor den Waldrand liefen die Puschelbeine flink und locker neben mir her – bis auf einmal ein klagendes Wiehern zu hören war. Dann war’s vorbei mit dem Vorwärtsdrang. Aufgeregtes Horchen, ein wenig Zappeln, Unschlüssigkeit.
Musste bei Ray zum Glück nur das erste Kapitel aus meinem Quasselroman loslassen, um ihn wenigstens noch ein paar Meter weiter zu bewegen. Doch dann war der Drang in den Stall so groß, das wir den Rückweg ähnlich zügig wie mit Ferdinand zurücklegen mussten. Wie können Pferde so schnell laufen und nebenher noch wiehern? Hab’s auch mal versucht. Wenig Erfolg (klanglich), noch weniger Puste (jetzt brennt’s in der Lunge), und ein Pferd am Seil, dass heim wollte. So wurde aus Ray kurzerhand ein Zugpferd, und die letzten Meter bergan zum Stall war ich darüber froh.
Für die beiden braven Kinder gab’s als Dankeschön noch die eine oder andere Möhre im Stall. Jetzt wissen wir immerhin, dass es im Ernstfall möglich wäre, die beiden für eine gewisse Zeit zu trennen.